Von den Graswurzeln lernen“ richtet den Blick auf engagierte, zivilgesellschaftliche Netzwerke, die zeigen, dass wirklich nachhaltige Veränderungen im Bereich der Ernährungssouveränität fast immer von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen angestoßen werden, während bürokratische Verordnungen und Regelungen oft schwerfällig hinterherhinken oder nachhaltige Veränderungen sogar behindern.

Dieses Spannungsfeld zeigt sich am deutlichsten beim Thema Saatgut. Zivilgesellschaftliche Netzwerke, die sich für freien Zugang, Vielfalt und Saatgutsouveränität einsetzen, kritisieren, dass die auf die industrielle Landwirtschaft zugeschnittenen bürokratischen Vorschriften zur Vermarktung von Saatgut kleine Betriebe und unabhängige Züchter:innen überfordern. Was ursprünglich der Qualitätssicherung dienen sollte, bedeutet für viele eine kaum zu bewältigende Hürde.

Gleichzeitig wächst der Druck der Saatgutindustrie, neue gentechnische Verfahren zu deregulieren. Dies könnte eine Flut von Patenten auslösen und damit die Macht weniger multinationaler Konzerne über zentrale Ressourcen des Ernährungssystems weiter festigen.

Die Zukunft der Saatgutvielfalt liegt in den Händen einer lebendigen Zivilgesellschaft

Die Saatgutvielfalt ist von beiden Seiten bedroht: einerseits durch bürokratische Vorschriften und andererseits durch die gewinnorientierten Ambitionen internationaler Konzerne.

Es wird immer deutlicher, dass das Engagement für Vielfalt und Saatgut als Gemeingut heute vollständig auf den Schultern der Zivilgesellschaft lastet.

Doch dieses zivilgesellschaftliche Engagement steht zunehmend unter Druck. Das Menschenrecht, Saatgut weiterzugeben und klimaresistente, lokal angepasste sowie traditionelle Sorten zu bewahren, wird weltweit immer stärker eingeschränkt.

Strenge Saatgutregulierungen schreiben vor, dass Sorten bestimmte Kriterien erfüllen müssen, um zugelassen und kommerziell verkauft werden zu dürfen. Die sogenannten DUS-Kriterien (Distinctness, Uniformity, Stability) sind zentrale Anforderungen der Saatgutverkehrsordnung. Sie sollen sicherstellen, dass jede Sorte klar identifizierbar, genetisch gleichförmig und über Generationen hinweg stabil bleibt.

Wenn Uniformität und Stabilität zum Maßstab werden

Traditionelle oder bäuerliche Sorten bestehen in der Regel aus einer heterogenen Population. Das bedeutet, dass eine alte Weizensorte Pflanzen mit unterschiedlicher Wuchshöhe, Korngröße oder Reifezeit enthalten kann. Eine solche Sorte enthält viele genetische Variationen, was ihre Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umweltbedingungen erhöht. Im Sinne der DUS-Kriterien ist sie jedoch nicht einheitlich genug.

Darüber hinaus verändern sich traditionelle Sorten mit jeder Generation leicht, da sie von der Umwelt und vom menschlichen Auswahlprozess geprägt sind; Sie sind demnach dynamisch und nicht statisch.

Das heißt, dass gerade die genetische Variabilität und Dynamik der lokal angepassten Sorten, die sie widerstands- und anpassungsfähig macht, im DUS System als mangelnde Einheitlichkeit oder Stabilität bewertet wird.

Auch beim Kriterium der Unterscheidbarkeit sind moderne Sorten im Vorteil, da sie meist auf spezifische Merkmale hin gezüchtet werden. Bei traditionellen Sorten ist die Grenze zwischen zwei Sorten hingegen oft fließend.

Letztlich verlangt das DUS System auch noch detaillierte Dokumentationen und formale Prüfverfahren, während die Herkunft oder genetische Definition von bäuerlichen Sorten oft nicht präzise festgelegt ist.

Standard statt Vielfalt: Wie die DUS-Kriterien Monokulturen fördern

All diese Anforderungen begünstigen demnach ertragreiche, industrielle Sorten, während sie die Vielfalt traditioneller, lokal angepasster und von Bauern gezüchteter Sorten marginalisieren. Selbst wenn diese Sorten ökologisch wertvoll sind, dürfen sie nicht, oder nur in sehr kleinen Mengen verkauft oder weitergegeben werden.

Infolgedessen verschwinden viele Sorten, was zu einem Verlust der genetischen Vielfalt führt. Dabei haben sich diese traditionellen Nutzpflanzen über Jahrhunderte hinweg an die lokalen Böden, klimatischen Bedingungen und kulturellen Bedürfnisse angepasst. Sie sind keine Relikte der Vergangenheit, sondern ein wichtiger Bestandteil der Ernährungssouveränität, der agrarökologische Resilienz und unserer kulturellen Identität.

Die von der EU geschaffenen Ausnahmeregelungen für Erhaltungssorten und Landrassen – die zudem nur unter strengen Auflagen und in begrenzten Mengen weitergegeben werden dürfen – sowie die Kategorie des „heterogenen Materials“ stellen zwar einen ersten Schritt dar, um die Bedeutung von Anpassungsfähigkeit und genetischer Vielfalt anzuerkennen. Dennoch gehen diese Maßnahmen nicht weit genug. Sie drängen die Vielfalt in eine rechtliche und wirtschaftliche Nische, anstatt sie als gleichwertige Grundlage der landwirtschaftlichen Produktion zu fördern.

Genetische Ressource

In der Praxis fungieren traditionelle Sorten und lokale Landrassen weiterhin vor allem als genetische Ressource, aus der die industrielle Züchtung schöpft, ohne dass der Erhalt dieser Vielfalt selbst als legitime und förderwürdige Form der Landwirtschaft anerkannt wird.

Statt einer Stärkung dezentraler, bäuerlicher Saatgutkultur entsteht so ein System, in dem Vielfalt toleriert, aber nicht wirklich ermöglicht wird. Das führt dazu, dass jene Akteure, die aktiv zur Erhaltung und Weiterentwicklung genetischer Diversität beitragen – bäuerliche Betriebe, Gemeinschaftsgärten und regionale Züchtungsinitiativen – weiterhin rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Hürden ausgesetzt sind.

zivilgesellschaftliche Netzwerke - zwei junge WWOOFer im Glashaus der Kleinen Stadtfarm; Still-Foto von 'Learning from the Grassroots: Land in Sicht', Copyright: Eva Pudill

Erste Stufe der Privatisierung von Saatgut: die Anmeldung von Handelssorten

Die Anmeldung von Handelssorten stellt in vielen nationalen Saatgutverordnungen ein erhebliches Hindernis für kleinbäuerliche und gemeinschaftliche Initiativen dar. Wird eine Handelssorte angemeldet, kann der Anmelder für diese Sorte Sortenschutz beantragen. Dieser verleiht dem Züchter exklusive Vermehrungs- und Vertriebsrechte. Andere dürfen das Saatgut ohne Zustimmung des Züchters nicht verkaufen oder vermehren. Es gibt jedoch Ausnahmen für Forschung und Züchtung – das sogenannte „Züchterprivileg“ – sowie für bäuerliche Nachbaurechte, die jedoch eingeschränkt sind. Der Sortenschutz gilt außerdem nur für diese konkrete Sorte und nicht für alle Pflanzen mit ähnlichen Eigenschaften.

Wenn eine Sorte, die ursprünglich aus bäuerlicher Praxis, gemeinschaftlicher Züchtung oder Erhaltungsarbeit hervorgegangen ist, später als Handelssorte angemeldet und registriert wird, verändert sich ihr Status grundlegend. Durch die exklusiven Nutzungsrechte wird die Sorte aus dem gemeinschaftlichen Kreislauf herausgelöst und im Grunde privatisiert.

Das bedeutet für Erhalter:innen: Sie dürfen das Saatgut nicht mehr frei tauschen, weitergeben oder vermehren, ohne rechtliche Risiken einzugehen. Selbst das unentgeltliche Teilen kann als unerlaubtes Inverkehrbringen gelten. So wird gemeinschaftlich geschaffenes Kulturgut zur kommerziellen Ware. Einige Erhalter-Vereine sehen darin eine Form von „Saatgut-Raub“ – eine Legalisierung der Aneignung von Biodiversität, die über Generationen von bäuerlichen Gemeinschaften geschaffen wurde.

Dadurch wird etwas kriminalisiert, das eigentlich im Dienst des Gemeinwohls steht: die Erhaltung und Weitergabe lebendiger Vielfalt. Was auf den ersten Blick wie ein technisches Verwaltungsverfahren erscheint, hat tiefgreifende gesellschaftliche Folgen. Wenn die Weitergabe von Saatgut reglementiert wird, verliert die Zivilgesellschaft ihre Gestaltungsmacht über die Grundlage unserer Ernährung. Damit wird der Boden bereitet für eine Entwicklung, in der das, was einst gemeinsames Erbe war, zunehmend in private Hände gerät.

Vergessene Vielfalt, neu verpackt: Wer profitiert vom Sortenschutz?

Neuartigkeit ist eine Voraussetzung für die Registrierung als Handelssorte. Im Zusammenhang mit dem Sortenschutz bedeutet dies, dass sich eine Sorte von allen bekannten oder kommerzialisierten Sorten unterscheiden muss. Die Definition von „neuartig” kann jedoch problematisch sein, wenn es um Sorten geht, die von bestimmten Gemeinschaften verwendet werden, ohne dass sie offiziell registriert oder kommerziell vermarktet wurden. Oft wird eine Sorte seit Jahren lokal angebaut, kultiviert und ausgetauscht. Wenn sie jedoch nicht in großem Umfang kommerzialisiert oder offiziell dokumentiert wurde, kann sie rechtlich gesehen dennoch als neuartig gelten, wenn sie als Handelssorte angemeldet wird.

In einigen Fällen haben Unternehmen traditionelle oder seit Langem bestehende Sorten praktisch „wiederentdeckt“ und als „neu“ registriert. Dieser Neuheitsanspruch kann angefochten werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Sorte innerhalb bestimmter Gemeinschaften bekannt ist oder weit verbreitet ist. Es kann jedoch schwierig sein, dies zu belegen, insbesondere in Kontexten, in denen die Praktiken der Gemeinschaften informell oder undokumentiert sind. Durch rechtliche Rahmenbedingungen wie die UPOV 91 werden Beiträge von Bauerngemeinschaften unsichtbar, wenn sie nicht offiziell dokumentiert sind. Dies lässt sich mit der „Entdeckung“ bereits bewohnter Gebiete durch Kolonialmächte vergleichen, bei der bestehende Kulturen und Verwaltungen ignoriert wurden, weil sie nicht den formalen Kriterien der „Entdecker“ entsprachen. Daraus haben sich Diskussionen darüber ergeben, ob den ursprünglichen Gemeinschaften oder Bauern, die diese Sorten entwickelt und erhalten haben, Rechte oder Entschädigungen gewährt werden sollten. Trotz Lippenbekenntnissen zu diesem Thema wurden solche Entschädigungen jedoch äußerst selten tatsächlich gewährt.

Regime der selektiven Strenge

Durch seine Ausrichtung auf privatwirtschaftliche Züchtung nutzt der geltende Sortenschutzrahmen die Offenheit traditioneller Saatgutsysteme faktisch aus und ermöglicht so die Aneignung gemeinschaftlich erhaltener Sorten. Diese Problematik verschärft sich insbesondere dadurch, dass viele Länder des globalen Südens im Rahmen von Handelsabkommen erst spät in das UPOV-System eintreten und verpflichtet sind, die aktuellste Fassung von 1991 zu übernehmen. In zahlreichen europäischen Staaten gelten hingegen noch ältere UPOV-Verordnungen, die darüber hinaus durch eine wesentlich umfassendere Dokumentation traditioneller Sorten ausgeglichen werden.

Diese asymmetrische Wirkung wird besonders deutlich, wenn man die graduelle Verschärfung der UPOV-Regelungen betrachtet, die in der Fassung von 1991 ihren Höhepunkt erreichte. Frühere Abkommen ließen noch größere Spielräume für Nachbau und informelle Nutzung, doch diese Ausnahmen wurden nach und nach eingeschränkt, während der Schutzumfang erweitert wurde – etwa auf Erntegut und genetisch eng verwandte Sorten. Dadurch verschob sich das System nicht nur zugunsten exklusiver Nutzungsrechte, sondern es entstanden auch strukturelle Nachteile für jene Saatgutsysteme, die im globalen Süden für die Erhaltung von Biodiversität und Ernährungssouveränität von zentraler Bedeutung sind.

Vom Gemeingut zum geistigen Eigentum

Eine weitere Stufe der Privatisierung von Saatgut wird durch die Patentierung von Pflanzeneigenschaften erreicht. Die Saatgutlobby drängt auf eine Deregulierung der Neuen Gentechnik (NGT) und deren Gleichstellung mit der konventionellen Züchtung. Das würde großen Agrarkonzernen ein gefährliches Einfallstor zur Ausweitung ihrer Patentrechte eröffnen. Ursprünglich dienen Patente dazu, technische Erfindungen zu schützen. Die Patentierung von Pflanzen aus konventioneller Züchtung ist nach geltendem EU-Recht hingegen verboten.

Durch die rechtliche Gleichstellung neuer Gentechnikverfahren mit konventionellen Züchtungsmethoden können Saatgutkonzerne jedoch auch natürlich vorkommende Pflanzenmerkmale patentieren lassen. Dazu gehören Krankheitsresistenzen, Trockenheitstoleranz und andere Anpassungsmerkmale. In vielen Fällen von Patentanmeldungen wurden diese Merkmale jedoch gar nicht durch technische Erfindungen, sondern durch klassische Züchtung oder zufällige Mutationen entwickelt. Die Gleichstellung von NGT1 und konventioneller Züchtung ermöglicht es Unternehmen demnach, Monopole auf zuvor öffentlich zugängliche, wichtige Pflanzenmerkmale zu schaffen.

Das Argument der Biotech-Lobby ist ebenso bequem wie irreführend: Es wird behauptet, neue Gentechnikverfahren (NGT1) seien genauso „harmlos” wie traditionelle Züchtungsmethoden und sollten daher gleich behandelt werden. Mit dieser Gleichsetzung wird der Unterschied zwischen natürlicher Evolution und Manipulation im Labor verwischt. Dies wiederum wird als Vorwand genutzt, um Vorschriften zum Schutz der biologischen Vielfalt, der Landwirte und der Verbraucher aufzuheben, die bis jetzt für die Gentechnik gelten.

Diese Darstellung dient der Lobby der globalen Saatgutkonzerne zu drei Zwecken: Erstens stellt sie die leistungsstarken CRISPR-Methoden als risikofrei dar. Zweitens ebnet sie den Weg für eine Deregulierung. Und drittens ebnet sie den Weg für eine noch stärkere Kontrolle über Saatgut und Merkmale durch Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums – einschließlich solcher Merkmale, die von der Natur oder konventionellen Züchtern hervorgebracht worden sein könnten.

Warum Rückverfolgbarkeit wichtig ist

Die vorgeschlagenen EU-Vorschriften zu neuen Gentechniken würden den Anwendungsbereich von Patenten auf genetische Informationen erweitern. Nach der derzeitigen GVO-Gesetzgebung gelten Patente nur für Pflanzen, die das direkte Ergebnis einer patentierten Intervention sind. Dies ist zum Teil auf die Rückverfolgbarkeitsanforderungen zurückzuführen, die Unternehmen dazu verpflichten, Methoden zur Identifizierung ihrer gentechnisch veränderten Merkmale offenzulegen. Die Rückverfolgbarkeit von Saatgut und Pflanzenmerkmalen spielt daher eine zentrale Rolle bei der Wahrung von Transparenz und Gerechtigkeit im Agrarsektor. Sie ermöglicht es, den Ursprung und die Entwicklung einer Sorte nachvollziehbar zu machen, wodurch die Rechte von Züchter:innen, Landwirt:innen und Erhalter:innen besser geschützt werden können.

Ohne klare Rückverfolgbarkeit können Besitzansprüche und Patentrechte undurchsichtig werden, wodurch die Gefahr von ungerechtfertigten Monopolen und der Enteignung gemeinschaftlich geschaffener Kulturgüter steigt. Patente auf aus NGT abgeleiteten genetischen Informationen könnten dann potenziell auf alle konventionelle oder bäuerliche Saatgutsorten mit ähnlichen Merkmalen angewendet werden. Dabei ist es unerheblich, ob diese Merkmale durch natürliche Prozesse, traditionelle Züchtung oder zufällige Kontamination entstanden sind. Solche Änderungen in der Gesetzgebung würden die Beweislast auf die Landwirt:innen verlagern. Sie könnten dann nicht mehr nachweisen, dass patentierte Merkmale nicht aus einem patentierten Verfahren stammen. Ohne Rückverfolgbarkeitsinstrumente ist dies unmöglich.

Angesichts der Gefahr von Patentverletzungsklagen könnten Landwirt:innen gezwungen sein, patentiertes Saatgut zu kaufen, um sich zu schützen. Gleichzeitig könnten kleine Saatgutproduzent:innen von den wenigen Saatgutkonzernen abhängig werden, die die NGT-Portfolios dominieren. Diese Monopolisierung würde wahrscheinlich zu einem Anstieg der Saatgutpreise, einer Verringerung der Vielfalt des verfügbaren kommerziellen Saatguts und einer Untergrabung der Agrobiodiversität in den landwirtschaftlichen Betrieben führen. Die Bauern würden nämlich die Möglichkeit verlieren, ihr eigenes, an die lokalen Bedingungen angepasstes Saatgut frei zu verwenden und zu verbessern.

Kein Monopol auf Leben – Patente gehen uns alle an

Der gravierende Effekt dieser Praxis ist eine zunehmende Marktbeherrschung durch einige wenige multinationale Unternehmen. Durch internationale Abkommen wie das von der WTO verwaltete Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) sind multinationale Unternehmen in Gesetzgebungsverfahren von Staaten oder Staatengemeinschaften eingebunden. Diese Abkommen schaffen verbindliche Rechtsnormen, die festlegen, wie Staaten ihre Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums (IP) gestalten müssen. So gewinnen Saatgutkonzerne weltweit immer mehr Kontrolle über die landwirtschaftliche Produktion.

Aufgrund der Flut von Patentanmeldungen sehen sich Züchter:innen mit unüberschaubaren Lizenzgebühren, teuren Laboranalysen und rechtlicher Unsicherheit konfrontiert. Ständig droht ihnen, unbeabsichtigt gegen bestehende Patente zu verstoßen und dadurch rechtliche sowie finanzielle Konsequenzen tragen zu müssen.

Wenn die EU dem nicht bald entgegengesteuert, werden immer mehr kleinere und mittelständische Züchtungsbetriebe zum Aufgeben gezwungen sein. Eine Entwicklung die sich in den Commonwealth Staaten bereits abzeichnet. Dadurch würde sich nicht nur die Vielfalt der angebauten Sorten noch weiter reduzieren. Der Konzentrationsprozess auf einige wenige große Saatgutkonzerne würde zudem die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von patentiertem Saatgut vertiefen. Dies schränkt durch strenge Lizenzbedingungen, und hohe Lizenzgebühren ihre Selbstbestimmung ein.

zivilgesellschaftliche Netzwerke - Gandana Feld im Garten der Begegnung; Still-Foto von 'Learning from the Grassroots: Land in Sicht', Copyright: Eva Pudill

Wenn „Bürokratieabbau“ zum Deckmantel für Konzerninteressen wird

Der Reflex, aufgrund der Regulierungswut der EU und des Einflusses der Biotech Lobby auf EU-Entscheidungsprozesse, rechte Parteien zu wählen, geht jedoch genau in die falsche Richtung. Denn diese Parteien sind besonders empfänglich für die Einflüsterungen der Pestizid- und GVO Saatgutlobby. Sie vertreten die Interessen der industriellen Landwirtschaft und grenzen kritische zivilgesellschaftliche Bewegungen als Störfaktor aus.

Gerade unter dem Vorwand, „unnötige Bürokratie“ abbauen zu wollen, werden derzeit in der EU Vorschriften gelockert oder abgeschafft, die uns vor der übermäßigen Gier der Konzerne schützen sollen. Es geht um Regelungen, die für saubere Luft und gesundes Essen sorgen, die Umwelt schützen, faire und sichere Arbeitsbedingungen garantieren sowie Diskriminierung bekämpfen sollen.

Rechts-Mitte-Pakt: Machtverschiebung im EU Parlament und ihre Auswirkungen

Mehrere Gesetzesvorschläge wurden bereits verabschiedet, ohne dass die Europäische Kommission zuvor eine Folgenabschätzung vorgelegt hat – obwohl diese für eine fundierte Entscheidungsfindung unerlässlich ist. Die zusätzliche Anwendung des sogenannten Eilverfahrens verschärft die Lage weiter, da eine gründliche demokratische Debatte im Europäischen Parlament dann nahezu unmöglich wird.

Zudem spielen rechte Parteien eine zentrale Rolle dabei, zivilgesellschaftliche Netzwerke unter Druck zu setzen. Sie versuchen, engagierte Gruppen, Vereine und NGOs zu delegitimieren, ihnen Förderungen zu entziehen oder sie öffentlich zu diskreditieren. Gerade in den Bereichen Landwirtschaft, Biodiversität, Nachhaltigkeit und Ernährungssouveränität erschwert dies die Arbeit derjenigen, die sich für ökologische und soziale Zukunftsfähigkeit einsetzen.

Hinter verschlossenen Türen

Die Debatte über die Regulierungswut der EU sollte vielleicht differenzierter geführt werden. Dass die Europäische Union auf einem komplexen Regelwerk basiert, lässt sich nicht leugnen. Die Entscheidungsprozesse innerhalb der EU sind oft intransparent. Komplexe Verhandlungen – wie derzeit die Trilog-Verhandlungen über die Deregulierung der neuen Gentechnik zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament – finden hinter verschlossenen Türen statt, fernab öffentlicher Kontrolle. Infolgedessen entstehen Regelungen aus einem Prozess, den nur wenige Bürger verstehen und noch weniger beeinflussen können. Diese technokratische Intransparenz verstärkt die Wahrnehmung, dass Brüssel in einer eigenen Welt agiert, die von den alltäglichen Realitäten, die sie zu regulieren versucht, zunehmend entfremdet ist.

Populistische Vereinfachung

Die entscheidende Frage ist jedoch nicht nur, wie stark die EU reguliert bzw. dereguliert, sondern auch, was reguliert bzw. dereguliert wird, aus welchem Grund und in wessen Interesse. Ohne diese Unterscheidung läuft die Debatte Gefahr, in populistische Vereinfachungen zu verfallen, die mehr verwirren als klären.

Eine pauschale Ablehnung von Regulierung kann unbeabsichtigt genau jene Kräfte der Zivilgesellschaft schwächen, die für eine funktionierende Demokratie unerlässlich sind – diejenigen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen und als letzte Verteidigungslinie gegen die unverhältnismäßige Macht multinationaler Konzerne dienen. Sinnvolle Kritik an EU-Regulierungen muss sich daher weniger auf die Quantität als vielmehr auf den Zweck, die Transparenz und die Rechenschaftspflicht konzentrieren.

zivilgesellschaftliche Netzwerke - Diskussion im Garten der Begegnung - Still-Foto von 'Learning from the Grassroots: Land in Sicht', Copyright: Eva Pudill

Die Macht zivilgesellschaftlicher Netzwerke

Während die mächtige Lobby der Saatgut- und Pestizidunternehmen in Brüssel immer mehr Einfluss gewinnt, hat sich längst eine dezentrale Gegenlobby gebildet. Dieses zivilgesellschaftliche Netzwerk besteht aus Umwelt-NGOs, Bio-Zertifizierungs-Verbänden, Interessensgemeinschaften von Züchtern, Vereinigungen zur rechtlichen Beratung von Landwirten in Lizenzfragen, bäuerliche Arbeitsgemeinschaften, Vereinen zum Erhalt alter Sorten, Verbraucherschutz-NGOs, kritischen wissenschaftlichen Instituten, Vereinen, die sich für den freien Saatgutaustausch einsetzen, sowie Saatgutunternehmen, die nach strengen Bio-Richtlinien arbeiten und das Patentsystem ablehnen. Außerdem gehören dem Netzwerk Vereinigungen an, die sich für gentechnikfreie Lebensmittel einsetzen, sowie viele andere.

Trotz begrenzter Mittel hat die zivilgesellschaftliche Lobby in den vergangenen Jahren bedeutende Ziele erreicht, etwa die Ablehnung eines Entwurfs für eine restriktive EU-Saatgutverordnung im Jahr 2014, durch die alte Sorten faktisch verboten worden wären. Dennoch bleibt der Druck durch die Industrie groß und viele zivilgesellschaftliche Akteure stoßen in Brüssel auf verschlossene Türen.

Saatgut-Souveränität verbreitet sich weltweit – getragen von der Zivilgesellschaft

Der Kampf gegen die Privatisierung von Saatgut – als gemeinsames Erbe der Menschheit – beschränkt sich nicht auf Europa. In vielen Ländern der Welt sind es nicht die Regierungen, sondern zivilgesellschaftliche Netzwerke, die den Widerstand leiten. Regierungen sind in der Regel durch internationale Handelsabkommen gebunden und sehen sich dem Druck ausgesetzt, restriktive Gesetze zur Regulierung der Vermarktung von Saatgut zu erlassen. Derartige Gesetzgebungen fördern die Kontrolle durch Unternehmen und den Anspruch auf geistiges Eigentum gegenüber der biologischen Vielfalt. Ein Beispiel hierfür ist das Abkommen des internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV).

Im Gegensatz dazu setzen sich Bauernorganisationen wie La Via Campesina, indigene Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und Graswurzelbewegungen aktiv für die Rechte der Bauern und die Saatgutsouveränität ein. Ihre Bemühungen sind in ganz Asien, Afrika und Südamerika zu beobachten, wo traditionelles landwirtschaftliches Wissen nach wie vor tief im Gemeinschaftsleben verwurzelt ist. Selbst in Commonwealth-Ländern, in denen Privateigentum und Patentsysteme tief verwurzelt sind, stellen zivilgesellschaftliche Initiativen oder engagierte, kämpferische Bauern und engagierte Züchter rechtliche Rahmenbedingungen infrage. Graswurzel-Initiativen setzen sich weltweit für den freien Zugang zu Saatgut, die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Anerkennung von Saatgut als Gemeingut ein.

Für Vielfalt statt Kontrolle: Europas Kampf für Saatgut-Souveränität

Die Organisationen der Zivilgesellschaft in Europa wirken aktiv an der Gestaltung der Saatgutpolitik der Europäischen Union mit. Die Zivilgesellschaft verfügt über eine beachtliche Stärke: Ihre Fähigkeit, breite Allianzen zu schmieden und die öffentliche Unterstützung zu mobilisieren, ist beeindruckend – insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie es mit einer einflussreichen Industrielobby zu tun hat, die über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt.

Ihre Strategien sind vielseitig: Sie bringen sich direkt in politische Prozesse auf nationaler und Brüsseler Ebene ein, nehmen an Konsultationen teil und arbeiten mit wohlwollenden politischen Entscheidungsträgern zusammen. Gleichzeitig tragen sie durch Kampagnen, Bildungsinitiativen und Medienpräsenz zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei. Viele Netzwerke initiieren Petitionen, organisieren öffentliche Aktionen und vermitteln den Bürgern den Zugang zu politischen Entscheidungen, die oft unsichtbar bleiben, aber die Saatgutsouveränität beeinflussen.

Zusätzlich zu ihrer Lobbyarbeit initiieren zivilgesellschaftliche Gruppen konkrete Projekte wie Saatgutbanken, partizipative Züchtungsprogramme und lokale Initiativen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Diese zeigen praktikable Alternativen zu konzerngesteuerten Saatgutsystemen auf. Durch eine Kombination aus politischem Engagement, öffentlicher Mobilisierung und praktischen Experimenten stellen sie die Vorherrschaft der Saatgutindustrie in Frage und verteidigen Saatgut als Gemeingut.

Unsere Ernährungssicherheit steht auf dem Spiel

In Zeiten der Klimakrise und des Biodiversitätsverlusts gewinnt der Kampf um freies und vielfältiges Saatgut zunehmend an Bedeutung – nicht nur für Landwirt:innen und Züchter:innen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Europa-weit schließen sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure zusammen, um eine Landwirtschaftspolitik zu fordern und fördern, die Vielfalt, ökologische Resilienz und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt. Von Saatgut-Tauschbörsen über solidarische Landwirtschaften bis hin zu Netzwerken von Saatgut-Erhalter:innen: Überall nehmen Menschen die Grundlage unserer Ernährung wieder selbst in die Hand.

Dem Engagement dieser zivilen Akteure und ihrer Vernetzung ist es zu verdanken, dass der Einfluss der internationalen Konzerne in Europa um einige Jahrzehnte zurückgedrängt werden konnte. Ihr Engagement zeigt: Wandel beginnt an der Basis, in der Zivilgesellschaft – bei denjenigen, die sich weigern, Vielfalt und Freiheit der Kontrolle großer Konzerne zu überlassen. Doch der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Die Zukunft unserer Ernährung hängt von unserem gemeinsamen Mut ab, unser Saatgut-Erbe zu schützen, Vielfalt zu bewahren und unser Verhältnis zu Nahrung und Natur neu zu denken.

EU: Frontalangriff der Konzern-Lobby

Aber wie geht es nun weiter? Während einige Länder des Globalen Südens, wie Mexiko und Kenia, bereits damit begonnen haben, GVO zu verbieten – Mexiko hat diese Ablehnung sogar in seiner Verfassung verankert –, scheint die industrielle Saatgutlobby in den letzten Jahren konzertierte Anstrengungen unternommen zu haben, um endlich in den europäischen Markt vorzudringen und neue Gentechnikverfahren wie CRISPR durchzusetzen. Ihr erklärtes Ziel ist es deshalb, die bestehenden GVO-Vorschriften in der Europäischen Union zu schwächen.

Würde die EU den Konzerninteressen folgen, und die neue Gentechnik deregulieren, hätte das gravierende Folgen: Landwirt:innen könnten die Kontrolle über ihr Saatgut verlieren, kleinere und mittelständische Züchter:innen wären zum Aufgeben gezwungen, Verbraucher:innen wüssten nicht mehr, was tatsächlich auf ihren Tellern liegt, und die biologische Vielfalt würde weiter unter der Ausbreitung patentierter, einheitlicher Pflanzen leiden. Auf dem Spiel stünde nicht nur die Ernährungssouveränität – die Freiheit zu entscheiden, wie wir unser Saatgut anbauen, austauschen und schützen – sondern auch die Ernährungssicherheit Europas.

Die Frage ist: Wird Europa seinen Bürgerinnen und Bürgern zuhören und den Weg der Vielfalt und Verantwortung wählen – oder wird es sich einmal mehr den Interessen der Konzerne beugen?

Wahlfreiheit adé?

Abgesehen von der drohenden Patentflut: Wie sollen ohne Kennzeichnungspflicht getrennte Produktionsketten – von der Saatgutgewinnung über Transport und Lagerung bis hin zur Verarbeitung – überhaupt gewährleistet und kontrolliert werden? Wer trägt die Verantwortung und die Kosten, wenn ein Biobetrieb durch NGT-Pflanzen kontaminiert wird und seine Zertifizierung verliert? Wie kann der Handel mit Bioprodukten glaubwürdig garantieren, dass Lebensmittel wirklich gentechnikfrei sind, wenn die Kennzeichnungspflicht wegfällt und Verbraucherinnen und Verbraucher keine Möglichkeit mehr haben, informierte Entscheidungen zu treffen?

Und nicht zuletzt: Wie sollen gentechnisch veränderte Organismen, die sich möglicherweise negativ auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf ganze Ökosystem auswirken, aus dem Verkehr gezogen werden, wenn keine Rückverfolgbarkeit vorgesehen ist? Kurz: Wie kann unter diesen Bedingungen dem Vorsorgeprinzip der EU überhaupt noch Rechnung getragen werden – einem Grundpfeiler europäischer Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik?

zivilgesellschaftliche Netzwerke - Schulklasse im Glashaus, Still-Foto von 'Learning from the Grassroots: Land in Sicht', Copyright: Eva Pudill